Wahrstedt
Wahrstedt

CHRONIK

In der Frühzeit stießen in unserer Region der Derlingau und der Nordthüringau aufeinander. Die Herrschaft der Thüringer fand 531 n. Chr. ihr Ende, als Franken und Sachsen den endgültigen Sieg erzielten. Im Mittelalter gehörte unser Raum zum ostfälischen Teil des Herzogtums Sachsen. Die führenden Adelsgeschlechter, die auch den Kampf gegen die Slawen austrugen, waren nacheinander die Billunger (966-1106) und die Welfen. Nachdem Heinrich der Löwe 1180 gestürzt worden war und das Herzogtum Sachsen zerschlagen wurde, behielten die Welfen ihr Eigengut um Braunschweig und Lüneburg. In den Teilungen des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, die im 13. Jahrhundert und später stattfanden, fiel das heute zum Landkreis Helmstedt gehörende Gebiet an das Fürstentum bzw. spätere Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel.

 

Postkarte ca. 1960

Wenn man sich auf die historische Spurensuche nach Wahrstedt begibt, so fällt der Ortsname „Werstidde“ erstmals in einer Urkunde des Halberstädter Bischofs Burchard II. von 1084 für das Kloster Huysburg auf. Allerdings weisen Indizes der entsprechenden Urkundenbücher auf Wehrstedt, östlich von Halberstadt gelegen, hin. Insofern tritt unser Wahrstedt in einer Urkunde von 1264 in das Licht der Geschichte. Damit ist der erstmalige Nachweis des Ortes in seiner Existenz gegeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte die Siedlung Wahrstedt schon einige Zeit zuvor gegründet worden sein. Archäologische Funde in der Ortslage und Umgebung unterstützen diese These. Der Inhalt dieser angeführten Urkunde spiegelt die Grenzlage Wahrstedts zwischen welfischen, brandenburgischen und magdeburgischen Territorien wider. In diesen Machtbereichen verfügte das Erzbistum Magdeburg über die Exklave Oebisfelde.
 

Um 1260 erfolgte die planmäßige Stadtanlage Oebisfeldes, das zuvor eine ländlich geprägte Siedlung war. Bekräftigt durch die Urkunde vom 4. Mai 1264 verkaufte das Augustiner-Kloster zu Schöningen das Dorf Wahrstedt („Wazstede“) mit dem Patronat an Ruprecht, Erzbischof zu Magdeburg. Hierzu zählten Wiesen, Weiden, Gewässer, Mühlen, Wälder und das Patronatsrecht der dortigen Kirche nebst ihrem Eigenbesitz. Unter den meist adligen Zeugen dieser Beurkundung befanden sich Hildebrand von Oebisfelde und der Oebisfelder Vogt Jordan, ein wichtiges Indiz für die Einordnung der Urkunde in den Gebietszusammenhang. Erkenntnisse der Ortsnamenforschung geben Aufschlüsse über die Anlage des Dorfes Wahrstedt. So deutet die indogermanische Wurzel im Stammwort des Ortsnamens auf eine erhöhte Stelle der dörflichen Siedlung im Gelände hin. Das heutige Oberdorf als Siedlungsursprung bestätigt diese Annahme. Anhand mehrerer Quellen lässt sich die Entwicklung des Ortsnamens verfolgen. So gilt um 1400 die Schreibweise „Wastede“ und 1474 die Bezeichnung „Warstidde“.

St. Petrus-Kirche

Im Zuge des Landesausbaus im Fürstentum Wolfenbüttel wurde im 15. Jahrhundert auf der Gemarkung des früher wüst gefallenen Dorfes Büstedt ein Adliges Gericht mit Rittergut eingerichtet. Dieses Adlige Gericht hatte über Jahrhunderte als Gerichts- und Verwaltungsort für das zugehörige Wahrstedt und seine Bewohner eine schicksalhafte Bedeutung. Vom Braunschweiger Herzog wurde 1474 Geveke von Bodenteich mit dem Gericht Büstedt belehnt. Ihm folgte 1488 die in Oebisfelde ansässige Familie von Bülow, die wie die Familie von Bodenteich vom Erzbischof von Magdeburg mit dortigen Herrschaftsrechten über das Amt ausgestattet war. Zum Lehnsbesitz  der von Bülow zählten damals neben Büstedt auch Wahrstedt und Velpke sowie das Gut Altena mit den zugeordneten Dörfern. Der Gutsherr von Büstedt übte die niedere und höhere Gerichtsbarkeit aus, die ihn für schwere Vergehen berechtigte, die Todesstrafe auszusprechen. Ein weiteres Privileg des Gutsbesitzers war das Patronat  der Kirchen in Wahrstedt und Velpke.
 

Anfang des 16. Jahrhunderts herrschte zwischen den von Bülow und dem Erzbischof von Magdeburg Streit um die Zugehörigkeit der eigentlich braunschweigischen Dörfer zum Amt Oebisfelde. 1568 sind die Orte nicht mehr beim Gebietsbestand des magdeburgischen Amtes Oebisfelde genannt. Ihre Besitzungen auf braunschweigischem Gebiet verkaufte die Familie von Bülow im Jahre 1629 an den Freiherrn Spiegel zu Pickelsheim auf Gut Seggerde. Dieser Besitzübergang fiel in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der für die Bewohner Wahrstedts Leid und Verwüstungen mit sich brachte. Mündlich wurde überliefert, dass die Schweden einen Trauerzug in Wahrstedt überfallen hätten. Auch die Verbrennung der Wahrstedter Kirchenbücher zeugte von den Kriegsereignissen. In den Jahren 1695 bis 1705 wurde das noch heute stehende Gutshaus als repräsentativer Adelssitz in Büstedt errichtet

Rittergut Büstedt

Nach weiterem Besitzerwechsel gelangte das Gut Büstedt mit Wahrstedt und Velpke 1763 in die Hände des Generalmajors Carl Hartwig von Bibow. Unter seiner Herrschaft erhielt die Wahrstedter Kirche 1767 einen neuen Kirchturm. Aus dieser Zeit künden auch drei Grabmale der Familie von Bibow in der Wahrstedter Kirche. Mit einem 1781 ausgestellten Lehnsbrief wurde Hans Georg Gottfried von Plessen Gutsherr in Büstedt. Bis 1807, dem Beginn der Französischen Fremdherrschaft, behaupteten die Besitzer des Adligen Gerichts Büstedt ihren Rang als Gerichtsherr. In der Franzosenzeit gehörte Wahrstedt bis 1813 zum Gebiet des neu gebildeten Kantons Bahrdorf. Nach dem Ende der Französischen Besatzung sind die Patrimonialgerichte des Adels im Braunschweiger Land nicht wiederhergestellt worden. Fortan zählte Wahrstedt zum Kreisgericht bzw. Kreisamt Vorsfelde des Herzogtums Braunschweig.

Unsere kleine Flurkarte zeigt den Gebäudebestand um 1736.

Aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt eine aufschlussreiche Quelle über die Sozialstruktur und die Besitzverhältnisse in Wahrstedt. Im Zuge der Generallandesvermessung wurden von Herzog Carl von Braunschweig-Lüneburg Dorf-, Feld- und Wiesenbeschreibungen für jeden Ort des Herzogtums angeordnet. Unter der Gerichtshoheit des Adligen Gerichts Büstedt waren 1756 in Wahrstedt folgende 26 Hofstellen vorhanden: 1 Ackerhof, 2 Halbspännerhöfe, 12 Großkothsassenhöfe, 1 Kleinkothsassenhof und 10 Brinksitzerhöfe. Die Bauernklassenbezeichnungen dienten zu früheren Zeiten als eine Art steuerlicher Veranlagung und zur Bemessung der von den Bauern zu leistenden Hand- und Spanndienste für den Gutsherren.

 

Aussagen zu den ärmlichen Lebensverhältnissen der Dorfbewohner finden sich in den Anmerkungen zur „Nahrung des Ortes“. Die geernteten Feldfrüchte fielen so gering aus, dass keine verkauft werden konnten. Es war vielmehr so, dass die meisten Einwohner das notwendige Brotkorn zukaufen mussten. Erwähnenswerte Verdienstmöglichkeiten für die Wahrstedter Bauern waren durch Steinfuhren für die Velpker Steinbruchbetriebe gegeben. Weiteren, wenn auch geringen Ertrag, brachte die Viehzucht ein. Darüber hinaus wurde Garn auch über den eigenen Bedarf hinaus gesponnen und an interessierte Kundschaft verkauft.

 

Existenzielle Gefahren gingen für die Dorfbewohner mit den damals spärlich verfügbaren Löschgerätschaften von kaum einzudämmenden Großbränden aus. Ein solcher Großbrand brach am 8. Juli 1790 in Wahrstedt aus, der  11 Gebäude in Asche gelegt hat. Das um sich greifende Feuer war durch die verbreitete Strohbedeckung der Häuser begünstigt worden. Hinsichtlich des Wiederaufbaus der Häuser ordnete die Fürstliche Kammer in Braunschweig an, Ziegel zur Bedachung zu verwenden. Um 1800 zählte Wahrstedt laut einer geografisch-statistischen Beschreibung 36 Feuerstellen (Wohngebäude) und 220 Einwohner.

Der alte Bahnhof

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts griffen gravierende Agrarstrukturreformen in die Lebensweisen der Wahrstedter Bauern ein. Die Separation und Gemeinheitsteilung sorgte für die Ablösung der dem Gutsherrn zu erbringenden Dienste und die Auflösung der gemeinschaftlich betriebenen Viehhütung. Darüber hinaus sind in einer Art Flurbereinigung Ackerstücke zusammengelegt und neu vermessen worden. Diese Strukturreformen erhöhten in beachtlichem Umfang die landwirtschaftliche Produktion und Viehhaltung. Moderne Zeiten wurden in Wahrstedt mit der Inbetriebnahme der Kleinbahnstrecke von Helmstedt nach Oebisfelde im Jahre 1895 eingeläutet, denn Wahrstedt bekam mit dem Gleisanschluss einen Bahnhof. Von Oebisfelde aus ließ es sich in alle Himmelsrichtungen und auch zu entlegenen Zielen verreisen. Mit der deutschen Teilung nach Ende des 2. Weltkrieges wurde die Bahnlinie über Wahrstedt stillgelegt und der Bahnhof dem Verfall preisgegeben. Mit der Geschichte der Bahn ist auch das Schicksal der Gaststätte „Zur Eisenbahn“ verbunden. Für den Betreiber der Gaststätte, Karl Stautmeister, war mit dem Ende der Eisenbahnzeit in Wahrstedt auch das Ende des Gasthauses abzusehen. 1961 schloss die Gaststätte Stautmeister endgültig ihre Pforten.

Gaststätte "Zur Eisenbahn"

In gut einhundert Jahren war die Wahrstedter Bevölkerung um etwa 100 Einwohner gewachsen, denn 1905 betrug ihre Zahl 321. Nachdem das alte Schulgebäude im Jahre 1913 abgerissen worden war, entstand an gleicher Stelle die neue Schule und wurde 1915 eingeweiht. Der Dorfschullehrer unterrichtete in einem Raum jahrgangsübergreifend alle  Schüler. Erst 1965 wurde dem Platzmangel begegnet und das Schulgebäude um ein Obergeschoss aufgestockt. Neben dem alten Schulgebäude stand der im Jahre 1762 errichtete „Alte Krug“, der bis 1860 als Gaststätte betrieben wurde. Hier hielt am 2. August 1963 der Wahrstedter Gemeinderat  seine letzte Sitzung ab. An dieser Stelle wurde der Bau des Dorfgemeinschaftshauses im Rahmen der Zonenrandförderung realisiert und am 13. August 1966 von Dr. Willi Thiele, Präsident des Verwaltungsbezirks Braunschweig, eingeweiht. Wahrstedt zählte zu diesem Zeitpunkt 460 Einwohner.

Die alte Schule (noch vor der Aufstockung)
Unser Storchennest

Ein unverwechselbarer Bestandteil unseres Dorfes ist seit jeher das Storchennest auf dem Dach des Hauses Nr., 9, früher Hof von Kalli Behrens. Das nachweislich seit 1904 vorhandene Nest wurde bis auf wenige Jahre von Storchenfamilien genutzt. Im Jahre 1980 ist das Nest überarbeitet worden und seither gern angenommene Heimstatt der Wahrstedter Störche. Die ehemalige Dorfbäckerei „Im Winkel 3“ von Emma Buchmüller versorgte den Ort mit Backwaren und Lebensmitteln. Nachdem das Geschäft aus Altersgründen geschlossen wurde, hat Wahrstedt keine Einkaufsmöglichkeit mehr gehabt. Ein weiterer Gemischtwarenladen von Wilhelm Kraul befand sich zeitweise in unmittelbarer Nähe.

Materialwarenhandlung Wilhelm Kraul

Ein denkwürdiges Jubiläum konnten im Jahre 1981 die Wahrstedter mit ihrem Gastwirt Hans-Jörg Becker feiern. Die durch ihn bewirtschaftete Gaststätte „Dorfkrug“ bestand 125 Jahre. Am 4. August 1856 erwarb Wilhelm Becker als Gastwirt des „Dorfkrugs“ die „Kruggerechtigkeit“ von den Verwaltungsbehörden. In späterer Zeit fand auch hier die Poststelle ihren Platz. Aus Gesundheitsgründen musste Hans-Jörg Becker im Juni 1989 die Gaststätte schließen.

Die Gaststätte "Dorfkrug"

Die deutsche Teilung 1945 brachte eine tiefe Zäsur in der Entwicklung Wahrstedts mit sich. Längs der Aller verlaufend, anfangs nur mit Stacheldrahtzaun, später mit einem festen, minenbestückten Zaun und dann teilweise mit einer kaum überwindbaren Mauer versehen, gehörte die abgesperrte Grenze zur Realität der Teilung. Nach der Mittellage im Deutschen Reich befand sich Wahrstedt nun im Zonenrandgebiet. Der Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen in der Nachkriegszeit stellte  den Wahrstedter Bürgermeister vor große Herausforderungen, denn der verfügbare Wohnraum war knapp. In den vergangenen  Jahrzehnten wandelte sich Wahrstedt vom Bauerndorf zur Wohngemeinde. Immer mehr Einwohner fanden Beschäftigung im nahe gelegenen Volkswagenwerk in Wolfsburg. Erst der Mauerfall in Berlin und die Öffnung der Grenze zwischen Oebisfelde und Büstedt am 26.11.1989 neben anderen Grenzübergängen beendete die Teilung zwischen Ost und West. Ein Mahnmal an der Allerbrücke in Büstedt erinnert uns an diese Zeit.
 

Einige Ereignisse aus der Wahrstedter Geschichte gilt es noch zu erwähnen. So endete die kommunale Eigenständigkeit des Dorfes durch die Verwaltungs- und Gebietsreform im Jahre 1972. Seitdem hat Wahrstedt den Status eines Ortsteils der Gemeinde Velpke. 1978 ergab sich für das Dorf die siegreiche Teilnahme am  Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Jahrzehntelang prägte die alte Trasse der Bundesstraße 188 unser Dorf. Nach dem Bau der neuen Umgehungsstraße zwischen Vorsfelde und Oebisfelde verlor die Ortsdurchfahrt Wahrstedt als Teil der B 188 diesen Fernverkehrsstatus. Die dörfliche Ruhe ist zum Vorteil der Einwohner spürbar eingekehrt. Neue Baugebiete wie im Lerchenfeld haben zu einer Stabilisierung der Einwohnerzahl um 500 in Wahrstedt beigetragen. In der nächsten Zeit ist, von Baulücken abgesehen, kaum mit einer weiteren Neubautätigkeit zu rechnen. Das Dorfleben bereichern die beiden existierenden Vereine „SuS Wahrstedt von 1946“ und die Freiwillige Feuerwehr. Im Jahresverlauf haben manche Veranstaltungen wie das Osterfeuer oder die Grenzwanderung institutionellen Charakter.

Abschrift der Urkunde von 1264 (Ausschnitt)

Vom 2. bis zum 4. Mai 2014 feierte Wahrstedt das 750-jährige Jubiläum seiner ersten urkundlichen Erwähnung. Das Dorffest vereinte alteingesessene Bürger und Neubürger, die erst wenige Jahre im Dorf leben. Zu den Veranstaltungshöhepunkten zählten der Auftritt des Volkswagen-Blasorchesters, des Maritimen Chores Wolfsburg und die Aktionen der Schöppenstedter Bürgerwehr in historischen Uniformen. Der Bulldog-Club Drömling aus Rühen zeigte eine Schau historischer Trecker und Landmaschinen. Das Katerfrühstück am Sonntag sorgte für ein bis auf den letzten Platz besetztes Festzelt mit der musikalischen Umrahmung durch die Bergkapelle Grasleben. Noch lange werden die Wahrstedter an dieses würdige Fest zurückdenken.

Diese Chronik spannt einen Bogen von der Frühgeschichte bis in die jüngste Vergangenheit. Die weitere Entwicklung Wahrstedts in der Zukunft hängt beispielsweise davon ab, inwieweit eine weitere kommunale Gebietsreform auf Landkreisebene neue kommunale Gebietszuschnitte bringt. Das Dorf verfügt über eine intakte Gemeinschaft seiner Bürger, die auf Veranstaltungen stets bewiesen wird. Mit dieser Chronik haben wir uns nur auf einen Streifzug durch die Wahrstedter Geschichte begeben. Ausführlichere Informationen zu zahlreichen Themenbereichen gibt zum Beispiel die Festschrift zur 750-Jahr-Feier des Dorfes.

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